Gehäkelte Mathematik

 

Handarbeiten, und insbesondere die textilen Künste, lehren uns Geduld, Ausdauer und Kreativität – Fähigkeiten, die für jedes Studium so wichtig sind. Ich konnte mir nie vorstellen, dass die in jungen Jahren erlernten Fertigkeiten des Strickens und Häkelns so bedeutsam sein würden für die Entwicklung einer taktilen Erforschungsmethode der nichteuklidischen Geometrie und dass sie mich von der

 

Mathematik zur Kunst führen würden.“

 

 

 

 

Daina Taimina, Dr.math., außerordentliche Professorin am Department of Mathematics, Malott Hall, Cornell University

 

Die Mathematikprofessorin Daina Taimina veranschaulicht mit Hilfe maschenbildender Techniken das komplexe mathematische und geometrische Konzept des hyperbolischen Raums. Diesen nichteuklidischen Raum kann man sich als das Gegenteil einer Kugel vorstellen. Beim hyperbolischen Häkeln werden in jeder Reihe Maschen nach einem festgelegten Zahlenverhältnis aufgenommen. Die entstehenden Windungen erinnern an Korallen und Schwämme, die mit ihrer so

 

gekräuselten Oberfläche Nahrung einfangen können. Die Wissenschaftlerinnen Christine und Margaret Wertheim machten durch die textile Nachbildung von Korallenriffs auf diese bedrohte Meereswelt aufmerksam.                                                                                                                 Bild (Detail):Day&Night, Daina Taimina

 

 

 

Ästhetische Muster-Bildungen

 

Menschen müssen im Alltag wiederkehrende Muster in Natur, Kunst, Mode, Design und Architektur erkennen, weil sie in ihrer Umwelt möglichst stressfrei überleben wollen.

 

„Ästhetik ist die Aufmerksamkeit für das Muster, das verbindet“, meint Gregory Bateson, daher sind wir alle famose Mustererkenner. Muster geben Strukturen und Ordnungen vor, wie wir uns im Alltag kleiden oder wohnen und welche Bilder wir konsumieren oder gestalten. All diese Muster sind von Menschen geschaffene, kulturell abhängige Konstruktionen.

 

Verfestigen sich Wahrnehmungs- und Handlungsmuster zu sehr, entstehen Vorurteile, Stereotypen und Klischees, ob im Alltag oder im Unterricht. Sei es, dass wir die Anderen mit Tunnelblicken mustern oder unter Textilunterricht „nur“ technik- und produktorientierte Themen verstehen. Ziel der ästhetischen Muster-Bildungen ist, die eigenen „gemusterten“ Wirklichkeiten und Normalitäten aus alltagsästhetischen, kulturwissenschaftlichen und künstlerisch-gestalterischen Zugängen gegen den Strich zu bürsten. Um neue Muster zu bilden, brauchen wir die alten, aber wir müssen sie laufend verändern und die Schüler und Schülerinnen zu textilen „Musterbildnern“ ausbilden.

 

Prof. Dr. Iris Kolhoff-Kahl,

 

Universität Paderborn, Deutschland                                                 Bild: Susanne Weiß und Schülerinnen der 7. Schulstufe AHS

 

 

Der Stoff der Jugend

 

Internet und „neue Medien“ sind heute Festbestandteile kindlicher und jugendlicher Alltagswelten. In der Jugendforschung spricht man von „Digital Natives“ und meint damit, dass diejenigen, die mit Internet und neuen Medien aufwachsen, spielerisch-experimentierend spezifische Technologie(nutzungs)kompetenzen

 

erwerben, sich über die neuen Medien Alltagswissen und Bildungsinhalte aneignen und darüber hinaus auch technologievermittelte Strategien der Weltaneignung (selbst) einüben. Mit anderen Worten: Erfahrung und Erkenntnis sind in dieser Generation auf das Engste mit Digitalisierung und Virtualisierung verknüpft.

 

Kinder und Jugendliche, die mit bzw. durch die neue Medien und Kommunikationstechnologien sozialisiert sind, zeigen vielfach eine besondere Nähe zum Virtuellen, Nicht-Stofflichen. Ihre Sensibilität für das Materielle als eine weitere wichtige Erfahrungs- und Erkenntnisquelle ist hingegen vielfach gering. Dies ist nicht notwendigerweise auf Desinteresse zurückzuführen, sondern ist vielmehr Konsequenz mangelnder Vertrautheit bzw. mangelnder Erprobungsräume für ein Lernen, das beim Stofflich-Materiellen seinen Ausgang nimmt. Indem der textile Werkunterricht eine Bühne für die kreative Auseinandersetzung mit Materialität eröffnet, kann er einen Beitrag leisten, um diese Lücke zu füllen. Textiler Werkunterricht ist jedoch nicht nur auf eine rein kompensatorische Funktion beschränkt. Alte und neue Gestaltungsmöglichkeiten können sich hier begegnen, unterschiedliche konzeptuelle Zugänge und Gestaltungsprinzipien können in der praktischen Anwendung von den Kindern und Jugendlichen vergleichend erfasst, vor allem aber auch miteinander kombiniert werden. Textiler Werkunterricht kann beispielsweise mit „digitalem Stoffdruck“ das Digitale und das Stoffliche verbinden und in einer für Kinder und Jugendliche sehr konkreten Weise anschaulich machen, wie technologischer Wandel in Kreativprozesse hineinwirkt und kulturellen Wandel mit sich bringt.

 

Dr.Beate Großegger,

 

Institut für Jugendkulturforschung, Wien                                       Bild: Susanne Weiß und Schülerinnen der 7. Schulstufe AHS

 

 

Das Gehirn in die Hand nehmen

 

 

2010 führte die Neurologin Dr. Mathilde Schnizer von der Linzer Landesnervenklinik Wagner-Jauregg gemeinsam mit der Experimentierwerkstätte des Textilen Zentrums Haslach in Oberösterreich eine Kleinstudie durch, bei der die Gehirnaktivität von Knoten knüpfenden Probandinnen untersucht wurde: „Nicht nur die Geschicklichkeit und die bimanuelle Koordination wurden trainiert, auch die Konzentration, die Aufmerksamkeit und das Arbeitsgedächtnis ließen sich durch das Erlernen der Techniken bereits nach kurzer Zeit steigern.“

 

 

 

 

Dr. Mathilde Schnizer,

 

in: Petra Paumkirchner „Vom Häkeln & Denken:

 

Der Handarbeitsunterricht stirbt aus“, Wiener Zeitung vom 20.4.2011

 

 

 

Die Bedeutung der Hände und des Tastsinns für das neuronale Netzwerk des Gehirns beschäftigt die wissenschaftliche Wahrnehmungsforschung. Der Tastsinn ist immer auf Empfang und lässt sich nicht willentlich unterdrücken, da das Gehirn ständig über Außenkontakte informiert sein will. Haptische Informationen verbreiten sich in jedem Teil des Neuronennetzes. Sie beschäftigen das ganze Gehirn. ForscherInnen des Haptiklabors der Universität Leipzig sind der Ansicht, dass die haptische Wahrnehmung in Beziehung zum menschlich konstruierten Körperschema steht. Erst durch das Greifen fühlt der Mensch sich selbst und seine Umwelt. Vielfältige taktile Wahrnehmungserfahrungen ermöglichen so ein Begreifen des eigenen Körpers und seiner Außenwelt.

 

Vgl. http://haptiklabor.uni-leipzig.de                                                                                        Bild: Susanne Weiß

 

 

 

Den Schleier lüften und zarte Bande knüpfen

 

Textile Objekte und insbesondere Kleidung sind Kulturträger, kulturelle Gegenstände und Medien. Wir werden von klein auf mit textiler Sachkultur vertraut gemacht. Um das Eigene zu definieren, braucht man das Fremde. Die Betrachtung fremder kultureller Objekte ist jedoch vom eigenen kulturellen Standpunkt geprägt. Eigeneund stereotype Vorstellungen vom Fremden können durch kritische Hinterfragung neue Perspektiven und offene, tolerante Haltungen ermöglichen. Die direkte Begegnung mit anderen und fremden texilen Dingen und Handlungen relativiert kulturelle Vorurteile.

 

Ein Beispiel dafür ist das interkulturelle Projekt „2hand“ der Modeschule der Stadt Wien, Schloss Hetzendorf. Im Rahmen der Ausstellung „african laces“ im Museum für Völkerkunde Wien 2010, wo afrikanische Stickereien und Modelle in Kooperation mit Vorarlberger Stickereibetrieben gezeigt wurden, recherchierten die Schüler- Innen die Zusammenhänge und Kulturtransfers zwischen nigerianischen und österreichischen Textildesigns (Schnitt-, Farb- und Mustertransfers, Unterschied zwischen afrikanischer und europäischer Schnittauffassung und Textiltraditionen). Unter der Anleitung einer Nigerianerin erlernten die SchülerInnen die Technik der „head-ties“, die Impuls für die darauf folgende eigenständige Modell- und Silhouettenarbeit war. Second- Hand Kleidung und Prototypen der Kleidermacherwerkstätte wurden durch Siebdruck, Malerei und Stickerei passend zu den selbst kreierten „head-ties“ umgestaltet.

 

Bild: Federica Martina, 5. Jg., 2010/11, Ausbildungsschwerpunkt Textildesign

 

Modeschule im Schloss Hetzendorf, Hetzendorferstr.79, 1120 Wien

 

www.modeschulewien.at

 

 

 

netzwerk textilunterricht: www.boekwe.at

 

“Nature uses only the longest threads to weave her patterns, so that each small piece of her fabric reveals the organization of the entire tapestry.” Richard P. Feynman

Lisa Klingersberger 
Bachelorarbeit, 2014
textil·kunst·design

Origami, die Kunst des Papierfaltens, inspiriert Künstler und Designer auf der ganzen Welt. Diese Bachelorarbeit hat sich zum Ziel gesetzt, die Verwendung von Origami in der Bekleidung zu untersuchen und in einer künstlerischen Arbeit frei umzusetzen. Im ersten Teil werden die Grundlagen von Origami beschrieben und einige Faltstudien gezeigt. Des Weiteren wird eine Recherche von gefalteten Kleidern und deren Verarbeitungsmethoden vorgestellt. Der zweite Teil dokumentiert die Erstellung eines eigenen, gefalteten Kleides namens tessellate.it.dress. Abschließend wird das Kleid präsentiert und rückblickend die Arbeit betrachtet.

Betreuung: 
Univ.-Prof. Mag.art. Gilbert Bretterbauer
A.Univ.-Prof. Mag.art. Priska Riedl 

Detailaufnahme des Übergangs zwischen den Faltungen. Foto © Gerda Lechner, Styling: Stella Baumgartner, Model: Lisa Klingersberger

Zeitlose Figuren - zeitlose Formen

Dawn MacNutt "Timeless Figures, Timeless Forms"
Dawn MacNutt "Timeless Figures, Timeless Forms"

Ein Bildungsangebot wird aufgemacht, das Raum zu persönlichen Forschungen innerhalb des Themengebietes zulässt. Unterschiedlichste Zugangsweisen, die sowohl theoretisch-reflektiver, als auch ästhetisch-praktischer, technisch-wirtschaftlicher, ökologisch-botanischer oder kulturgeschichtlich-sozialer Art sein können, werden ermöglicht. Das Exemplare wird zum Prinzip erhoben.

 

Duncker, Ludwig / Lieber, Gabriele: Zeitlose Figuren, zeitlose Formen. Perspektivenvielfalt und textile Bildung; in: Becker, Christian (Hg.): Perspektiven textiler Bildung, Baltmannsweiler 2007;

GesICHt

2007_GesICHt_Becker.pdf
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ARGE Textil NÖ

Textil / Kunst & Design